Die Natur der Verbote

VerboteOb Tempolimit, Plastiktütenverbot oder „Veggie Day“, wer kennt sie nicht, die grünen Verbotsforderungen. Seit jeher schaffen es grüne PolitikerInnen mit unpopulären Forderungen ins Rampenlicht und ziehen damit oftmals den Zorn anderer Parteien und BürgerInnen auf sich. Auch der kürzlich von Renate Künast thematisierte „Veggie Day“, bei dem an einem Tag in der Woche auf fleischhaltige Gerichte in öffentlichen Kantinen verzichtet wird, wird nach wie vor im öffentlichen und privaten Raum heftig diskutiert. Während BefürworterInnen die KritikerInnen mit dem „Grundrecht auf Bratwurst“ parodieren, hört man aus Kritikerreihen immer häufiger: Der „Veggie Day“ und andere grüne Forderungen stellen eine Entmündigung freier BürgerInnen dar. Führen grüne Ideen also zwangsläufig in einen Ökofaschismus?

Verbote sind omnipräsent

Zwar leben wir in Deutschland in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, aber das entscheidende Wort im diesem Satz ist: Ordnung. Das menschliche Zusammenleben erfordert Regeln und damit auch Verbote, um die Sicherheit und eine gleichberechtigte und faire Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für den Einzelnen zu gewährleisten.

Jeder kann alles tun, so lange er niemandem direkt schadet.

Deswegen gibt es in Deutschland beispielsweise Verkehrsregeln. Damit niemand Angst haben muss, überfahren zu werden, ist das Missachten einer roten Ampel verboten und wird streng bestraft.

Und diese Leitlinie trifft auch auf die Umwelt zu. Der deutsche Staat ist in der Pflicht unsere „natürlichen Lebensgrundlagen“ zu schützen (Grundgesetz, Artikel 20a).

Und alle, die sich jetzt als die großen Beschützer der Freiheit aufspielen, seien auf den liberalen Vordenker John Stuart Mill verwiesen: „Dass der einzige Zweck [ist] um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten.“ sprich: Die eigene Freiheit darf in einer international-solidarischen Gesellschaft nur soweit gehen, bis sie die Freiheit eines Anderen einschränkt. Und wer hier noch blökt „Aber Fleischessen schadet doch keinem!“, der hat vom Welthunger durch Anbau von Futterpflanzen, vom Klimawandel durch die CO2-intensive Fleischproduktion und von Verteilungskriegen in der „Dritten Welt“ als Folge eben dieses Klimawandels nichts verstanden! Wer den Freiheitsgedanken so populistisch-verklärt vor sich herträgt, der meint nur eine Freiheit, nämlich die eigene und zwar um jeden Preis.

Freiheit bringt Verantwortung

Ein freier, mündiger Bürger zu sein heißt auch, dass man Verantwortung für die eigenen Taten und Handlungen übernimmt. Stattdessen zucken viele angeblich mündige BürgerInnen mit den Schultern: „Das interessiert mich nicht“ oder „Das ist ja schließlich nicht verboten, oder?“ In vielen alltäglichen Handlungen offenbart sich die angebliche Freiheit als reine Bequemlichkeit. Täglich werden Abertausende Plastiktüten an den Ladentheken verkauft, weil man mal wieder eine der drei Baumwolltaschen, die zuhause im Schrank liegen, schlichtweg vergessen hat. Allzu oft ist unser Konsumverhalten irrational, doch Mündigkeit setzt Vernunft vorraus.

Tanzverbote sind okay, aber der Veggie Day verletzt unser Grundrecht auf Bratwurst

Die Betitlung der Grünen als „Verbots-Partei“ ist gerade aus Reihen der Union besonders schizophren, denn auch die CDU hat Verbote in die Welt gesetzt, die ihrer Weltanschauung entstammen. Beispielsweise das allseits bekannte Tanzverbot an bestimmten christlichen Feiertagen, an denen nicht nur Musikdarbietungen jeglicher Art in Kneipen und Diskotheken, sondern auch öffentliche Veranstaltungen wie Sportveranstaltungen untersagt sind.

Ebenso ist es auch heute noch in vielen katholischen Familien üblich freitags auf den Verzehr von Fleisch zu verzichten, was viele Unionsangehörige jedoch nicht daran hindert einen „Veggie Day“ in öffentlichen Kantinen als Freiheitsberaubung zu bezeichnen.

Verdrängung funktioniert nur, wenn alle mitmachen

Wenn es danach ginge, dürfte man ja gar nichts mehr essen.“, „Was ist denn heute NICHT krebserregend?“ und „Ich als Einzelner kann da ja eh nichts dran ändern“ sind wohl die häufigsten Antworten auf den neuesten Lebensmittelskandal. Verdrängung ist zunächst die einfachste Methode, um sozialen und wirtschaftlichen Problemen zu begegnen, insbesondere wenn ich dabei von meinem Umfeld unterstützt werde. Doch dann packt in der Mittagspause die Kollegin ihren selbstgemachten Erdbeerjoghurt aus: „Möchtest du einmal probieren? Der ist frei von allerlei Zusatzstoffen! Mit echten Erdbeeren, ohne Aroma aus Holzspänen“, worauf man giftig: „Nein, danke!“ antwortet und im Joghurtbecher vom Discounter rumstochert. Und schon wieder hat mir die grüne Ökozicke mein Essen madig gemacht…

Grüne Kritik und grüne Forderungen sind nicht nur deshalb unpopulär, weil sie uns oftmals unser Essen weniger schmackhaft machen, sondern weil sie uns die eigene Fehlbarkeit vor Augen führen, uns Alternativen zu unserer bisherigen Lebensführung vor die Nase setzen und Bewusstsein dafür schaffen, dass wir mit unserer Lebensführung verantwortlich sind für den ein oder anderen Skandal.

Es sind in Deutschland tatsächlich schon Menschen vor größerem Publikum ertrunken, weil individuell niemand sich verantwortlich fühlte Hilfe leisten zu müssen. So verhält es sich auch mit der individuellen Bereitschaft moralische Verantwortung im Kollektiv zu übernehmen. Das Kollektiv kennt keine moralische Verantwortung, jedenfalls zurzeit und natürlich mit vielen hoffnungsgebenden Ausnahmen.

Deshalb muss die Politik Verantwortung übernehmen und gesellschaftliche Regeln schaffen, die auch im 21. Jahrhundert ein geregeltes Miteinander ermöglichen, in dem wir weder unseren Mitmenschen, noch unserer Umwelt nachhaltigen Schaden zufügen. Besonders wenn es um Einschränkungen geht, die unseren persönliche Lebensqualität minimal beinträchtigen, der Gesellschaft aber maximal nutzen.

Von Nyke Slawik und Marvin Neubauer

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